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Frauen und Männer in der Medienwelt

1. Aufgabe

Welche Rollen nehmen Frauen in den deutschen Medien wahr?

Lesen Sie den Teil „Medien Frauen 1” oder „Medien Frauen 2”. (In der Seminargruppe sollten beide Teile gelesen werden.) Fassen Sie die Kernpunkte des Gelesenen in ein paar Sätzen unter den folgenden Stichwörtern zusammen: überraschend; selbstverständlich; fraglich; erfreulich.

Medien Frauen 1

Nie zuvor waren Frauen in den deutschen Medien so präsent wie heute, vor allem im Fernsehen als Gastgeberinnen der politischen Talkshows. Über das Phänomen der Frauen in der Bewusstseinsindustrie denkt Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, nach.

In den Kampffliegern der amerikanischen Luftwaffe spricht eine Computerstimme. Sie warnt, sie befiehlt, sie analysiert, sie transkribiert. Die Stimme ist weiblich. Die Frequenz genau berechnet. Menschen im Stress, das haben psychiatrische Untersuchungen erwiesen, reagieren von einem gewissen Grad an am verlässlichsten auf die Stimme von Frauen. Womöglich ist es die Stimme der Mutter, die zu ihnen spricht, oder der Geliebten oder die der Ehefrau. Die Vorsitzende der schwedischen Linkspartei, Gudrun Schyman, veröffentlichte ihre Memoiren vor einigen Jahren unter dem Titel „Gudrun Schyman, Mensch, Frau, Mama, Geliebte, Parteichefin“. Die Leute, so soll sie gesagt haben, wissen, dass ich das alles bin und dass ich weiß, wo es langgeht. Es scheint, wir sind an einem Punkt der gesellschaftlichen Evolution angekommen, wo die Gesellschaft sich dieser Stimme bedient, um sich zu orientieren. Oder besser: die Orientierung nicht zu verlieren.

Der CDU-Politiker Friedrich Merz sagte unlängst an einem Sonntagabend in der Sendung Sabine Christiansen, der 250. Folge: „Wir sollten Ihnen erst mal gratulieren zu dieser Sendung. Sie haben damit ja großen Erfolg in Deutschland. Diese Sendung bestimmt die politische Agenda in Deutschland mehr als der deutsche Bundestag. Das betrübt mich, aber ist ein großer Erfolg.“
Streichen wir, was an diesem Satz pure Liebedienerei eines Politikers ist. Es bleibt: bedingungslose Unterwerfung eines Mannes unter eine Frau. Als Morgengabe liefert der Gratulant nicht nur die eigene Person, sondern gleich eine ganze Institution, das Verfassungsorgan des Bundestages, dem Salon der Frau Christiansen. Die Hausherrin hatte am selben Jubeltag in einem Interview ihre Machtlosigkeit, Bescheidenheit und Gemeinnützigkeit annonciert. Dass „Sabine Christiansen“ eine Marke geworden ist, findet sie fast unangenehm. Die zwei Körper der Königin sprechen zwei ganz verschiedene Idiome: die bescheidene private Christiansen und die öffentliche, auf deren Homepage zum Beispiel folgende Beschreibung hervorgehoben wird: „Die mächtigste Frau im deutschen Fernsehen“.

Frauen als Gastgeberinnen

Vermutlich ist sie es. Vermutlich hat Friedrich Merz ganz recht, vorauseilend zu kapitulieren, wie weiland die Fürsten vor Katharina der Großen kapitulierten. Die Frau, deren ersten Auftritt in der Nachrichtensendung „Tagesthemen“ man einst die „Sendung mit der Maus“ nannte, ist ein Symbol für eine tiefgreifende gesellschaftliche Veränderung. Nicht viele Männer haben bislang begriffen, was da vor sich geht, wenngleich sich die Notrufe entgeisterter Manager, fassungsloser Patriarchen und ängstlicher Staatsmänner häufen.
Das politische Leben der Bundesrepublik Deutschland wird zwar noch immer vorwiegend von Männern kommentiert, aber von Frauen kommuniziert. In dem Maße, in dem politische Meinungsbildung diskursiv geworden ist, haben die Fernsehsender Frauen zu „Gastgebern“ des politischen Prozesses gemacht. Die Talkshow-Moderatorinnen Sabine Christiansen, Sandra Maischberger, Maybrit Illner und die Anchorwomen der großen Nachrichtensendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, Anna Will und Marietta Slomka, sind ohne Zweifel die einflussreichsten politischen Vermittlungsinstanzen des Fernsehens. Man muss nicht Feminist sein, um in dieser noch vor Jahren unglaubwürdig erscheinenden Erfolgsgeschichte eine bewusste Entscheidung der Gesellschaft zu sehen. Sie ist offensichtlich im Begriff, die Macht neu zu verteilen, weil sich nicht nur die Diskurse, sondern auch die Anforderungen an die Vermittler verändern. Diese Operation ist sehr viel umfassender als bislang bekannt. Die entscheidenden Produktionsmittel zur Massen- und Bewusstseinsbildung in Deutschland liegen mittlerweile in der Hand von Frauen. In komplizierten, zuweilen von höfischen Intrigen begleiteten Strategien haben Frauen mehr oder minder deutlich die Zuständigkeit für gewaltige Komplexe der Bewusstseinsindustrie übernommen.
(Schirrmacher, 2004)

Medien Frauen 2

Akkumulation von Macht

Der größte Fernsehbetreiber Europas, der größte Magazinverlag, der größte Buchverlag der Welt, einer der fünf größten Musikkonzerne der Welt, kurzum: der Bertelsmann-Konzern untersteht längst dem Willen einer Frau, Liz Mohns, die die vergangenen Monate seit der Entlassung des früheren Vorstandschefs Thomas Middelhoff dazu nutzte, ihre Macht im Konzern auszubauen. Der größte Zeitungsverlag Europas gehört Friede Springer, die mit äußerster Konsequenz und Entschiedenheit über Jahre hinweg ihre Macht konsolidiert hat. In einer der Zentralen der bundesdeutschen Bewusstseinsindustrie, dem Frankfurter Suhrkamp-Verlag, scheint des Verlegers Witwe, Ulla Berkéwicz, die Macht zu übernehmen und damit zuständig zu werden für das Erbe dessen, was jeden Intellektuellen in diesem Lande definiert: Adorno und Brecht, Habermas und Enzensberger, Bloch und Benjamin.
Kein Buch, das in Deutschland wirklichen Erfolg haben wird, kommt künftig an den Empfehlungen einer Frau vorbei: Elke Heidenreich, die mit ihren ersten Sendungen das „Literarische Quartett“ um Marcel Reich-Ranicki weit überbot. Insgesamt sind damit fast achtzig Prozent der Bewusstseinsindustrie in weiblicher Hand. Was einer heute denkt, läuft vorher über die Fließbänder dieser Frauen. Und es war mehr als eine Pointe, als Sandra Maischberger Liz Mohn mit dem Satz „Guten Tag, Chefin!“ begrüßte.

Patriarchen-Dämmerung

Eine solche Akkumulation weiblicher Macht ist noch nicht dagewesen in der Geschichte des Landes. Sie ist auch ziemlich sensationell. Wir wissen aus der Zeit der letzten Jahrhundertwende, wie Frauen als Hüterin eines Erbes zu ungewöhnlichem Einfluss über die Köpfe der Menschen gelangen können: Cosima Wagner gehört in diese Linie und Elisabeth Förster-Nietzsche. Doch jetzt scheinen wir damit zu tun zu haben, dass sich der Cosima-Effekt – die schwarzgekleidete, unnahbare, in ewige Händel verstrickte Witwe – umzukehren beginnt. Die Patriarchen verdämmern, und die Nachfrage nach ihnen sinkt. Frauen übernehmen die Vermittlung und sogar die Macht in einer zerfallenden Gesellschaft.

Frauen als Vermittlerinnen

„Kleine zivilisierte Völker“, so hat Arnold Gehlen einst vorhergesagt, „oder solche, denen alle Knochen zerschlagen sind, streben der Deckung zu, sie neigen zu Versicherungen, Krankenscheinen, zu sexuellen Libertinismen und moralischen Vorträgen an die Außenwelt. Aber gerade diese Atmosphäre kommt den innersten Bedürfnissen des Weibes entgegen“. Gemeint war: je zivilisierter eine Gesellschaft, je komplexer und subtiler die Notwendigkeit, unlösbare Konflikte ohne Aggression zu lösen, desto stärker setze eine solche Gesellschaft auf die Frauen als Vermittler; ja sie delegiert ihnen sogar die wirtschaftliche Macht. Es mag sein, dass wir uns heute einem solchen Zustand nähern. Dann aber, so Gehlen, verändert sich die Sozietät ein weiteres Mal: „Dann betreten Klytemnästra und Judith die Szene, Antigone und Gallia Placidia, Katharina und Charlotte Corday und zeigen den Männern, wie man sich aussetzt und einsetzt.“ Da braucht man dann auch die Komplimente des Herrn Merz nicht mehr.
(Schirrmacher, 2004)

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