7. Aufgabe
A/ Lesen Sie den folgenden Text durch und formulieren
Sie 3-4 Aussagen aus dem Textinhalt, die Ihnen neu sind, oder die Sie überrascht
haben, mit großen leserlichen Buchstaben auf A4-Blätter.
B/ Hängen Sie die verschiedenen Aussagen der
Gruppenmitglieder auf.
C/ Ordnen Sie die Aussagesätze gemeinsam in der Gruppe
nach dem Inhalt zu verschiedenen Teilbereichen so, dass Sie diese Teilbereiche
auch benennen.
D/ Bilden Sie dann Kleingruppen (3-4 Personen) und
diskutieren Sie, ob die Gruppenmitglieder mit den Intentionen der Aussagen
einverstanden sind, und ob diese Aussagen auch für Ungarn zutreffen bzw. nicht
zutreffen.
E/ Ergänzen Sie dann die Aussagen Ihres Teilbereiches
mit weiteren zutreffenden oder nicht zutreffenden Aussagen.
Generation global
Junge Deutsche ziehen heute rund um die
Welt – auf der Suche nach Selbstverwirklichung und um sich fit zu machen für den
Arbeitsmarkt. Doch die neuen Weltbürger sehnen sich auch nach alten Werten:
Freundschaft und Halt. / Von Julia Bonstein und Merlind Theile
So ein Lebenslauf kann
eine echte Herausforderung sein. „Das ist hohe Kunst“, sagt Felix Fischer – und
meint damit nicht die Schwierigkeit, ein „Befriedigend“ in Mathe oder fehlende
Chinesischkenntnisse erklären zu müssen. Fischers Problem ist ein anderes: Wie
passen Berufsstationen in London, Hongkong und Shanghai, Studienaufenthalte in
Wales, Boston und Peking und dazu die ganze Surf-, Segel- und
Expeditionserfahrung auf einen Bogen edles Papier? Schriftgröße 8 hilft da
bereits ein kleines Stück weiter. Dann wird aussortiert. „Nur das wirklich
Relevante“ soll der zukünftige Arbeitgeber lesen müssen. Seinen Geburtsort hat
Fischer nach amerikanischer Gepflogenheit schon mal weggelassen. München. Das
sagt in der globalen Businesswelt wenig aus. Harvard und Morgan Stanley dafür
umso mehr. In seinen 28 Lebensjahren hat Fischer in mehr Ländern gelebt als
mancher erfahrene Manager nach 40 ausgefüllten Berufsjahren. Besonders exotisch
kommt sich Fischer dabei nicht vor. „Auslandserfahrung gehört doch heute einfach
dazu.“
Statt wie früher ihre Eltern mit dem Käfer über deutsche Landstraßen zu stottern,
pendeln 20- bis 30-jährige Deutsche heute par avion zwischen Berlin, Brüssel und
Bogota hin und her. Die Avantgarde der jungen Deutschen ist vollständig mobil
geworden, ihr Lebenskreis global.
Mit 16 Jahren brechen Jugendliche auf, um als Austauschschüler interkulturelle
Kommunikation zu üben. Schüler aus Ostdeutschland stellen dabei mittlerweile
einen überproportional großen Anteil. Während für sie die USA offenbar noch
exotisch genug sind, muss es für viele Wessis heute schon Japan und Sushi zum
Frühstück sein. Nach dem Abitur geht's auf die obligatorische Interrail-Tour
oder gleich um die ganze Welt. Der von der Europäischen Union geförderte
Erasmus-Aufenthalt im europäischen Ausland ist für Studenten aller
Fachrichtungen ein gängiges Etappenziel, und viele Berufsanfänger gucken bei der
Jobsuche ganz automatisch auch nach Angeboten im Ausland.
Die Mütter und Väter aus der 68er Generation lassen sich die Selbstverwirklichung
ihrer Kinder einiges kosten, und Stipendien sorgen dafür, dass auch diejenigen
Einserkandidaten zum Bildungsshopping an internationalen Eliteuniversitäten
aufbrechen können, für die in der Kindheit der Zelturlaub am nächstgelegenen See
noch etwas Besonderes war. Die Zahl der deutschen Studenten im Ausland hat sich
seit 1980 nach Angaben des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) auf
über 500 nahezu verdreifacht.
In der großen weiten
Welt, von der die Eltern bloß träumten, bewegen sich viele junge Deutsche
zunehmend selbstverständlich. „Wir leben heute in einer
Multi-Options-Gesellschaft“, sagt Heiner Keupp, Sozialpsychologe an der
Ludwig-Maximilians-Universität in München, „und die junge Generation bedient
sich dieser vielen Möglichkeiten auch.“
Ingrid Kolb, Leiterin
der Hamburger Henri-Nannen-Journalistenschule, erreichen pro Lehrgang rund 1500
Bewerbungen von angehenden Journalisten, aus denen mittlerweile eher diejenigen
herausstechen, die keine Auslandserfahrung nachweisen können. „In meiner
Generation war es absolut ungewöhnlich, wenn eine Schulfreundin als
Au-pair-Mädchen nach England ging, heute ist ein Auslandsjahr für
Mittelstandskinder Standard“, sagt die 63-Jährige.
Christian Lücking, 24,
staunt noch über die Möglichkeiten, die sich vor ihm auftun. „Für meine
Großeltern war es schon ein Schock, dass ich von Bremen zum Studium nach
Süddeutschland ging“, sagt er. Als der Sohn eines Lkw-Fahrers im ersten Semester
einem Tübinger Dozenten durch ein gutes Referat auffiel, erhielt er einen
Studentenjob an der Uni, ein Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes
und konnte zu einem Auslandsstudium in Aix-en-Provence aufbrechen. „Auf einmal
waren da diese Möglichkeiten, und plötzlich hatte ich auch die Frechheit zu
sagen: Ja, ich bewerbe mich da jetzt.“ Am liebsten möchte er Diplomat werden.
Während Lücking erst
als Student auf die Idee kam, ins Ausland zu gehen, hatte Jana Dorband, 29,
diesen Wunsch schon als kleines Mädchen. Immer wieder blätterte sie damals das
Jahrbuch einer amerikanischen High School durch, das auch ein Foto ihrer Mutter
zeigt – die war mit 16 eine der Ersten, die ein Austauschjahr in den USA
absolvierten. Die Amerika-Begeisterung der Mutter übertrug sich auf die Tochter,
in der elften Klasse ging sie selbst für ein Jahr an eine High School im
US-Bundesstaat Washington. Es wurde das Jahr, das Dorband im Rückblick ihre
„positive Initialzündung“ nennt. Nach dem Politikstudium in Deutschland, Italien
und den USA promoviert sie nun in Berlin über amerikanische Außenpolitik.
Die Flexibilität, die
Studium, Praktika oder Auslandsaufenthalte fordern, empfinden viele dabei nicht
als Bürde, sondern als Selbstverständlichkeit auf dem Weg zur wohlgerundeten
Persönlichkeit – ganz im Sinn der Eltern, die statt sonntäglicher Kirchgänge die
Selbstverwirklichung zum Imperativ erhoben und ihrem Nachwuchs schon im Alter
von vier Jahren volle Terminkalender verordneten: montags musikalische
Früherziehung, dienstags rhythmische Sportgymnastik, mittwochs der
Aquarell-Malkurs in der Kinder-Kunstschule.
Fördern, fördern,
fördern lautete das Motto der Eltern, die ihren Kindern die Chancen ermöglichen
wollten, die sie selbst nicht gehabt hatten. Die eigenen Talente sollen entdeckt
und entwickelt werden. „Man muss heute individuell sein. Das ist eine Grundnorm
unserer Gesellschaft“, sagt der Soziologe Ulrich Beck.
Dabei dient ein breitgefächerter Lebenslauf heute zuallererst dem Erfolg auf dem
Arbeitsmarkt. Die Pflichterfüllung kommt unter dem Deckmantel der
Persönlichkeitsentfaltung daher.
Während früher ein
einfaches Diplom mit mittelmäßiger Note für die lebenslange Festanstellung
locker ausreichte, müssen die jungen Berufseinsteiger heute etliche
Zusatzqualifikationen vorweisen, um einen Job zu ergattern – die deutsche
Ausbildung allein macht die Absolventen schon längst nicht mehr fit für die
globalisierte Wirtschaft. „Personalchefs achten immer stärker auf den gesamten
Lebenslauf als bloß auf das Abschlusszeugnis“, sagt Harro Honolka vom Institut
Student und Arbeitsmarkt an der Uni München. „Ohne Auslandsaufenthalte erscheint
man für den heutigen Arbeitsmarkt nicht flexibel genug.“
Das gilt für immer mehr
Fachbereiche: Selbst die vermeintlich bodenständigen Agrarwissenschaftler müssen
sich heute für den globalen Wettbewerb wappnen – natürlich im Ausland. „Um
später eine Führungsposition zu erreichen, ist eine internationale Perspektive
meiner Ausbildung die Grundvoraussetzung“, sagt Mathias Kluth, 24, der seinem
deutschen Landwirtschaftsstudium mit dem Fach Agrarbusiness an der University of
Florida in Gainesville derzeit den nötigen kosmopolitischen Schliff verleiht.
Die perfekte Beherrschung der englischen Sprache ist heute obligatorisch, und
überdurchschnittlich gute Noten werden von Personalchefs ohnehin erwartet. Wer
darüber hinaus nie im Ausland war, keine weiteren Fremdsprachen spricht und auch
nicht mit sozialem Engagement punkten kann, hat das Nachsehen: Bei Global
Playern wie der Unternehmensberatung McKinsey landen solche Bewerbungen direkt
im Papierkorb.
„Wer außer einem
hervorragenden Abschlusszeugnis keine Qualifikationen vorweisen kann, hat bei
uns keine Chance auf eine Anstellung“, sagt Nina Wessels, Director of Recruiting
bei McKinsey Deutschland. 15000 Bewerbungen erreichen das Unternehmen pro Jahr,
nur 300 Kandidaten werden genommen, Praktikanten inklusive. Ganz oben auf der
Anforderungsliste: die „Internationalität“ der Kandidaten. Der polyglotte
Mitarbeiter sei im Ausland einsetzbar, so Wessels, und die Vielfalt der
weltoffenen Persönlichkeiten ein „großer Erfolgsfaktor bei der Teamarbeit“.
Das klingt nach buntem
Multikulti – doch obwohl Wessels betont, an Natur- oder Geisteswissenschaftlern
mit außergewöhnlichen Qualifikationen besonders interessiert zu sein, sind
solche Exoten im Bewerberpool die Ausnahme.
In Wahrheit produziert
der Kriterienkatalog von McKinsey und Co. genau das, was die Recruiter
vorgeblich nicht wollen: immer ähnlichere Bewerberprofile, zuvorderst den
Betriebswirt mit USA-Aufenthalt. Und ob bei jedem dieser Kandidaten wirklich die
persönliche Weltoffenheit den Ausschlag für den USA-Aufenthalt gab, ist
fraglich. Selbst Wessels beschleicht mitunter das Gefühl, dass „die Absolventen
ihre Lebensläufe der Wirtschaft anpassen“. Das Raster Curriculum Vitae, kurz:
CV, ist immer im Hinterkopf. Die junge Generation fängt früh an, in Lebensläufen
zu denken.
Das Arbeitsleben von
Jérôme Cholet begann mit 14 Jahren. Neben der Schule werkelte er bei der
Zeitschrift „Gala“, und in der Klasse war er der Erste, der ein Handy besaß und
dieses auch während des Unterrichts angeschaltet lassen durfte, wie er sagt.
„Schließlich hätte der Chefredakteur von ‚Paris Match’ jederzeit anrufen
können.“ Nach einem Auslandsjahr an einer französischen Privatschule startete
der zweisprachig aufgewachsene Deutsche dann so richtig durch: „Ich habe
versucht zu powern, wo ich konnte.“
Heute liest der Student
morgens angeblich 23 internationale Tageszeitungen, arbeitet als studentischer
Mitarbeiter an der Hamburger Uni und bei einem Fernsehsender. Abends schaut er
„Monitor“, „Panorama“ und die „Tagesthemen“ – „weil ich da auch mal eine Zeit
lang arbeiten möchte“ – und setzt sich danach an den Schreibtisch, um
Hausarbeiten zu schreiben und Pressearbeit für Amnesty International zu
erledigen. Auf das Praktikum bei der ARD in Südafrika muss er sich nebenbei auch
noch vorbereiten: „Ich kann doch da nicht hingehen, ohne vorher über jedes
afrikanische Land publiziert zu haben.“
Cholets Ziel steht
fest: Uno-Generalsekretär würde er gern werden. Als Karrierist möchte der
25-Jährige dabei natürlich nicht erscheinen. „Weil der Posten vielleicht doch
eher einem Togolesen zusteht, würde ich auch als dessen Referent arbeiten.“
Außerdem erzählt der „Friedensursachenforscher“ im dunklen Anzug gern, wie er
als Zivi in Brasilien täglich 250 Latrinen säuberte: „Ich mache auch
Drecksarbeit.“ Was noch vor 20 Jahren als ideologischer Bruch für Erstaunen
gesorgt hätte, fällt heute nicht weiter auf. „Die Arbeit für die
Unternehmensberatung und Amnesty International schließt sich nicht mehr aus“,
sagt der Soziologe Ulrich Beck. „Was früher unvereinbar schien, taucht heute in
einer Biografie auf.“
Doch selbst
ambitionierteste Lebensläufe sorgen nicht mehr automatisch für einen Job nach
der Uni. „Die Praktika, das Auslandsstudium, zwei Abschlüsse, das müsste sich
doch auszahlen“, dachte Alexandra Wirnshofer, 29. Aber nach 250 erfolglosen
Bewerbungen wächst der Frust der Betriebswirtin. Den Traum vom Häuschen am
Starnberger See hat sie aufgegeben: „Wenn ich hier nichts finde, dann gehe ich –
vielleicht nach Italien.“ Sprachkenntnisse und frühere Auslandsaufenthalte
machen das Auswandern für viele erfolglose Bewerber zur nahe liegenden
Alternative.
Unter denen, die
hierbleiben, steigt angesichts wachsender Arbeitslosenzahlen und rigide
selektierender Unternehmen der Konkurrenzdruck. Schon Schüler machen sich heute
Gedanken um ihre wirtschaftliche Sicherheit. Knapp zwei Drittel der 13- bis
22-Jährigen nannten in einer Studie des Münchner Instituts für Jugendforschung
einen guten Beruf oder die berufliche Karriere als oberstes Zukunftsziel.
Pragmatismus statt Idealismus: Auch die Shell-Jugendstudie von 2002 zeigt, dass
den Jugendlichen in den neunziger Jahren Sicherheit und Leistung wichtiger
geworden sind. Wer diese Ziele erreichen will, muss gekonnt seine Qualitäten
vermarkten – oder zumindest das, was er dafür hält.
Mitunter treibt der
Drang, sich besonders mit exotischen Auslandsaktivitäten zu empfehlen, seltsame
Blüten. Über die ernst gemeinte Bewerbung eines Wirtschaftsstudenten um den
Posten des Semestersprechers an einer deutschen Universität amüsierten sich vor
zwei Jahren Internet-Surfer im ganzen Land – via E-Mail gelangte das Schreiben
bis in die Chefetagen großer Unternehmen.
„Wir alle haben schon
tolle Lebensläufe, sei es durch Auslandsaufenthalte oder besondere Aktivitäten“,
schrieb der Kandidat und setzte deshalb noch einiges drauf: Einen Trip durch den
Dschungel von Malaysia pries er als „Survival-Training in einer 21-köpfigen
islamischen Familie fernab jeglicher Zivilisation“, das seine „Sozialkompetenz
geschult“ und seine „Teamarbeits- und Integrationsfähigkeit verfeinert“ habe,
und unter dem Schlagwort „Entrepreneurship“ hieß es lapidar: „Dass ich vor zwei
Jahren eine Firma mit drei freien Mitarbeitern gegründet habe, hat sich ja schon
weitestgehend rumgesprochen, deshalb gehe ich darauf nicht näher ein.“
Derlei
Selbstinszenierung wird zur Lebensaufgabe der jungen Generation in Deutschland,
die im Windschatten der Globalisierung aufwächst. „Alles zählt, jeder noch so
banale Akt gewinnt an Bedeutung, wenn das Leben zur individuellen Erfolgsstory
werden soll“, schreibt Holger Friedrich, 32, der in dem Buch „Die
Herausforderung Zukunft“ den Zustand seiner Altersgenossen beschreibt. Für den
offiziellen Lebenslauf werde der Volkshochschulkurs in Kickboxen als
persönlichkeitsstärkende Erfahrung präsentiert, der Sommerurlaub in der Toskana
zur Bildungsreise aufgepeppt.
„Es geht auch immer
darum, die Selbsterfahrungstrips zu vermarkten“, sagt Felix Fischer, der gerade
überlegt, wie er der Businesswelt erklärt, dass er vor knapp drei Jahren seinen
gutdotierten Job als Investmentbanker kündigte, um anschließend auf einem
selbstgebauten Schilfboot vom chilenischen Festland zu der Osterinsel zu segeln.
„Biografiebastler“
nennt Autor Friedrich die Generation, die so bemüht ist, die eigene Vita als ein
möglichst buntes Mosaik zu präsentieren. Vielfalt macht interessant, und nur wer
so besonders ist, hebt sich von der Masse ab. Aber wann ist der Punkt erreicht,
an dem das Basteln an der eigenen Biografie aufhört?
Wann haben die jungen
Deutschen heute eine „fertige" Identität? Später als ihre Eltern, so viel ist
sicher. Während ein Mensch für die Sozialforschung noch vor 50 Jahren in den
frühen Zwanzigern als erwachsen galt, kann sich der Reifeprozess nun bis ins
vierte Lebensjahrzehnt ziehen. „Ich beobachte bei vielen jungen Leuten eine
große Angst, etwas zu verpassen. Viele wollen sich nicht festlegen, weil sie
sich möglichst lange alle Optionen offen halten möchten“, so der
Sozialpsychologe Heiner Keupp. Die große Freiheit kann auch überfordern.
Anke Gerber** studierte
Jura in Konstanz, ging für ein Jahr an die Erasmus-Universität nach Rotterdam,
für den Spanischkurs nach Ecuador, machte in Südafrika einen Abschluss in
internationalem Recht und in Hamburg ihr Referendariat. Irgendwie ergab ein
Schritt immer den nächsten. „Aber wo das alles schließlich hinführen soll, war
mir nicht so richtig klar", sagt sie. Aus der Fülle der Möglichkeiten, die sich
ihr boten, ergriff sie einfach eine nach der anderen. Jetzt, mit 32 Jahren, weiß
sie nicht genau, wo sie eigentlich steht: „Heute habe ich Zweifel, ob der Weg,
den ich eingeschlagen habe, für mich überhaupt der richtige war."
Die ständigen
Veränderungen der eigenen Lebenswelt mögen anfangs interessant erscheinen, doch
für die eigene Orientierung hilft Flexibilität allein den jungen Weltenbummlern
wenig. Die Summe der vielen Auslandstrips, die Masse an neuen Erfahrungen mag
Weltoffenheit und Wendigkeit mit sich bringen – Stabilität ergibt diese Melange
noch lange nicht.
„Es ist nie langweilig,
aber es fehlt die Konstanz“, sagt Konstantin Kreiser. Nach Stationen in
Kasachstan, St. Petersburg, Berlin und Riga ist er gerade in Brüssel angekommen.
„International wollte ich schon immer arbeiten“, sagt der Geograf, der sich nun
auf europäischer Ebene für bedrohte Fischadler und Störche einsetzt. Brüssel.
Das ist ein Kompromiss. Zwischen Heimat und Weitläufigkeit. Brüssel liegt nah
dran an Köln, wo Kreisers Eltern leben, und ist doch nicht Deutschland. „Brüssel
hat internationales Flair“, sagt Kreiser und schwärmt vom arabisch-türkischen
Viertel, dem kleinen Chinatown, dem afrikanischen Viertel, in dem er die
Erinnerungen an den letzten Urlaub in Südafrika aufwärmen kann. Er spricht von
den Spaniern, mit denen er bei einem Glas Wein Spanisch spricht, und den Russen,
die ihm auch immer wieder über den Weg laufen. „Brüssel ist eigentlich perfekt:
Hier kann man sich jeden Tag neu die Kultur auswählen, die man gerade leben
möchte.“
Wer viel herumkommt, übt sich im Smalltalk und sammelt Bekanntschaften. Den
polyglotten jungen Deutschen fällt es heute leicht, offen auf andere zuzugehen,
Interesse für Neues zu zeigen und selbst interessant zu wirken.
Dieses Leben zwischen den Kulturen hat allerdings etwas Flüchtiges. Nach Jahren des
Herumreisens, des Sammeins von Erfahrungen stellt sich für viele die Frage: Wo
ist eigentlich mein Halt? Die Antwort führt viele junge Deutsche heute nicht
mehr zu einem bestimmten Ort zurück, sondern wird umformuliert zu der Frage:
Welche Freunde bedeuten mir wirklich etwas?
Innere Ruhe und
Stabilität schöpfen diese kosmopolitischen Deutschen, die zwischen dem 20. und
30. Lebensjahr oft mehr als zehnmal umziehen, vor allem aus ihrer Zugehörigkeit
zu einer speziellen Gruppe: jung, polyglott, weitgereist und überall zu Hause.
Die Freundschaften, die jede neue Etappe mit sich bringt, sind ihnen wichtig –
aber der Kontakt per E-Mail und Wochenendtreffen in internationalen Metropolen
müssen reichen, um diese Bindungen zum Anker zu machen. Kreisers Wochenenden
sind auf Monate verplant: das Familientreffen in München, die Geburtstagsfeier
in Berlin, der Besuch beim besten Freund in London. „Die Hälfte meines Gehalts
geht für Zugfahrkarten und Flugtickets drauf“, sagt Kreiser, dazu kommen Abende
am Telefon und Stunden vor dem Bildschirm, E-Mails schreiben. Beziehungen unter
den jungen Kosmopoliten sind Arbeit: Weil man sich nicht schnell auf einen
Kaffee treffen kann, muss geplant und organisiert werden. Weniger intensiv macht
die räumliche Entfernung diese Freundschaften nicht unbedingt.
„Untersuchungen zeigen,
dass Leute zwar in einem Stadtteil in Berlin oder Frankfurt isoliert
nebeneinander her leben, gleichzeitig dank der neuen Kommunikationsmedien aber
eng mit Menschen am anderen Ende der Welt verbunden sind“, sagt der Soziologe
Beck. Jana Dorband bedeutet es mehr, ihre Freunde aus Amerika oder Italien nur
einmal im Jahr zu sehen, als „jeden Tag die Kindergartenfreunde aus meinem
Geburtsort“. Doch stabil sind solche Freundschaften häufig nicht.
Die Frage, wo die
jungen Kosmopoliten im Leben zwischen Neustadt und New York ihre Heimat
verorten, ist für viele nicht eindeutig zu beantworten. Eine gewisse
Zerrissenheit ist die Folge des Globetrotter-Daseins. „Irgendwie ist die Heimat
immer da, wo ich gerade nicht bin“, sagt Dorband, die in den vergangenen Jahren
zwischen Deutschland und den USA pendelte, „wenn ich hier bin, vermisse ich
Amerika – und umgekehrt.“
Heimat ist für diese
jungen Menschen nicht mehr an einen Ort gebunden, schon gar nicht an einen
deutschen. Sie leben gerade in Berlin, fühlen sich aber auch in London sehr wohl
und könnten sich eher vorstellen, später mal nach Barcelona als nach Bielefeld
zu gehen. „Früher waren die Menschen Orts-monogam, jetzt führen sie zu
verschiedenen Städten, Sprachen und Kulturen ein offenes Liebesverhältnis“, sagt
Beck, der diese Orts-Polygamie als „kosmopolitische Identität“ bezeichnet.
Dabei schließt das
Zugehörigkeitsgefühl zu einem Ort die Heimatverbundenheit mit einem anderen
nicht aus. „Heute ist man nicht mehr entweder Franzose oder Deutscher“, so Beck.
Europäische Identität entstehe gerade dann, wenn sich Menschen an verschiedenen
Orten in Europa zu Hause fühlten. Ein besonderer Bezug zum eigenen Land muss
dabei nicht unbedingt verloren gehen.
Martin Endress, 28, hat
gerade im Ausland gemerkt, dass er sich Deutschland sehr verbunden fühlt.
Während des Studiums in London und seiner Assistententätigkeit in Florenz fand
er sich immer wieder in einer Art Verteidigungshaltung für sein Herkunftsland.
Kalt, emotionslos und zu bedächtig seien die Deutschen, schlug es ihm im Ausland
entgegen. „Dabei kenne ich in meiner Generation viele interessante und offene
Leute“, sagt Endress. Als ihm seine italienische Freundin gestand, noch nie in
Deutschland gewesen zu sein, war das ein richtiger Schock. „Wir haben im Ausland
noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten“, meint er.
Privat ist ihm das
schon mal geglückt: Seine Freundin lebt heute mit ihm in München, wo er als
Unternehmensberater arbeitet, und hat dort mittlerweile mindestens ebenso viele
Freunde wie er. Langfristig würde Endress seinem Land gern auch etwas
zurückgeben: „Natürlich kann man einfach sein Geld verdienen, aber ich möchte
etwas bewirken, das möglichst vielen Menschen gut tut.“ Als sozialdemokratischer
Politiker möchte der Sohn eines Schlossers später dazu beitragen, „dass Leute
wie ich in diesem Land auch zukünftig eine Chance haben“.
Auch Anke Gerber hat
gemerkt, dass das Globetrotter-Dasein nicht ausfüllt und zudem Partnerschaften
kaputtmacht – ihre Fernbeziehungen gingen stets in die Brüche. Neue Kontakte
wiegen diesen Verlust nicht auf. „Natürlich ist es erst mal wahnsinnig
interessant, in Kapstadt, Den Haag und Ecuador immer neue Leute kennen zu
lernen“, sagt sie. Mit der Zeit habe sie aber gemerkt, dass gerade die ständige
Wiederkehr des Neuen auf Dauer nicht sinnstiftend sei. Je mehr Menschen ich
getroffen habe, desto mehr sehnte ich mich nach meinen alten Schulfreunden, die
ich schon seit 15 Jahren kenne“, sagt sie heute.
Während für die
Großeltern die Schwierigkeit darin bestand, ein Leben lang den unliebsamen
Nachbarn ertragen zu müssen, leiden ihre Enkel, wenn der neugewonnene Freund
wieder weiterzieht. Gerber sucht nach all ihren Reisen und wechselnden Wohnorten
im Ausland jetzt einen festen Platz im Leben – dauerhafte Bindungen
eingeschlossen.
Felix Fischer hat
diesen Platz an seinem Heimatort München gefunden. Nach zehn Jahren im Ausland
ist er dorthin zurückgekehrt, wo er herkommt: „Ich wollte die Beziehungen zu den
alten Schulfreunden und zur Familie nicht vollständig verlieren.“
Heute arbeitet er als
Vermögensverwalter und ist angekommen – in einer Schwabinger Zweizimmerwohnung.
Dort hängen die Erinnerungen an die große weite Welt in Holzrahmen an der Wand.
Fischer steht in der Küche, kocht für seine Freundin Nudeln und freut sich über
die erste eigene Sofagarnitur. So richtig sesshaft wirkt er dabei allerdings
nicht. Er spricht von „Perspektiven“ und vom „Vorankommen“ – und davon, dass der
MBA-Abschluss vielleicht doch noch gemacht werden muss. In Frankreich. Oder den
USA.
(Bonstein /
Theile, 2004)
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